Der Mittelstand braucht die nötige unternehmerische Freiheit 

von Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Welter, Hans-Jürgen Wolter.

 

Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland werden seit mehreren Jahren nicht nur immer wieder mit krisenhaften Situationen konfrontiert, nun drohen auch noch zusätzliche US-Zölle. Daneben gilt es, die digitale und ökologische Transformation zu meistern. Um all diese Herausforderungen bewältigen zu können, erhoffen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer von der neuen Bundesregierung Rahmenbedingungen, die ihnen die nötige Freiheit zu wirtschaften geben. So sprach sich gut die Hälfte der Unternehmerinnen und Unternehmer in einer Befragung des IfM Bonn (Link) kurz vor der Bundestagswahl im Februar 2025 dafür aus, dass sich die Politik zukünftig weitgehend aus der Wirtschaft und dem Markt heraushalten solle. Der überwiegende Teil der anderen Hälfte hieß zumindest Anreize für Innovationen oder Investitionen gut. 

In der vergangenen Legislaturperiode zeichnete sich die Politik vorrangig durch lenkende Vorgaben aus: Mit Hilfe von verschiedenen Gesetzesinitiativen sollten die Unternehmen dazu bewegt werden, zeitnah digitaler und nachhaltiger als bisher zu wirtschaften. Dabei wurde vernachlässigt, dass Unternehmerinnen und Unternehmer selbst am besten ihre wirtschaftliche Situation einschätzen sowie beurteilen können, mit welchen Maßnahmen sie die vorgegebenen Ziele erfolgreich erreichen. Anstelle von Ver- bzw. Geboten brauchen sie daher Rahmenbedingungen, die ein flexibles Vorgehen zur Zielerreichung ermöglichen. 

Unsicherheit beeinträchtigt die Internationalisierung des Mittelstands 

Im Hinblick auf mögliche zusätzliche US-Zölle wird sich die Bundesregierung mit ihren EU-Partnern bezüglich der Verhandlungen abstimmen. Prinzipiell wirkt sich jedoch die unsichere Situation in den USA negativ auf die Internationalisierungsentscheidungen der Unternehmen aus. Dies gilt umso mehr, je kleiner die Unternehmen sind. Schließlich sind mit Auslandsaktivitäten Investitionen verbunden, für die den kleineren Unternehmen deutlich weniger Ressourcen zur Verfügung stehen als größeren Unternehmen. Entsprechend fällt es ihnen auch schwerer, kurzfristig andere Auslandsmärkte zum Absatz ihrer Güter zu erschließen. 

Steuersystem vereinfachen, Bürokratie senken und Anwerbung internationaler Fachkräfte 

Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland gibt es laut der IfM-Befragung von Februar Stellschrauben, mit denen die zukünftige Bundesregierung dem Mittelstand dabei helfen kann, die bestehenden Herausforderungen zu meistern. Dazu gehören die folgenden drei Aspekte: Um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, erhoffen sich die Unternehmerinnen und Unternehmer von der Politik unter anderem eine Vereinfachung des Steuersystems. Auch das Nebeneinander von diversen Steuerarten wie Einkommenssteuer (respektive Körperschaftssteuer), Gewerbesteuer und Grundsteuer sollte reduziert werden. 

Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hängt aber auch stark von den weiteren Standortbedingungen ab, die Kosten, Effizienz und Innovationsfähigkeit der Unternehmen maßgeblich beeinflussen. Im Hinblick auf den Standortfaktor "bürokratische Belastungen" fühlen sich die meisten Unternehmerinnen und Unternehmer inzwischen überfordert. Zugleich kritisieren sie die mangelnde Verhältnismäßigkeit, Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit vieler bürokratischer Vorschriften. 

Mit den Praxis-Checks, die in der vergangenen Legislaturperiode initiiert wurden, ist zwar ein weiterer wichtiger Schritt unternommen worden, um die aktuelle Bürokratiebelastung zu reduzieren. Um einen spürbaren Rückgang der Bürokratiebelastung für die Unternehmen zu erreichen, braucht es unserer Forschung zufolge jedoch mehr als einzelne punktuelle Maßnahmen wie die Praxis-Checks. Stattdessen sollte Bürokratie nicht zuletzt aufgrund des technologischen und gesellschaftlichen Wandels neu gedacht werden. Dabei könnte auch der Blick über die Landesgrenzen helfen: In Großbritannien beispielsweise konzentriert sich der wirtschaftspolitische Diskurs nicht mehr auf kleinteilige Bürokratie und die statischen Kategorien des Zeit- und Kostenaufwands. Stattdessen wird das Regulierungssystem im Sinne von "Enable und Motivate" als wichtiges Element zur Förderung von Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit betrachtet.  

Der dritten großen Herausforderung, dem Fachkräftemangel bzw. demografischen Wandel, sollte nach Ansicht der Unternehmerinnen und Unternehmer vor allem durch eine Verbesserung des Bildungssystems und durch die gezielte Anwerbung von internationalen Fachkräften entgegengewirkt werden. Als weniger relevant sehen die Unternehmerinnen und Unternehmer hingegen eine Verlängerung oder Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit (40 %) oder die generelle Förderung von Einwanderung (30 %) an. 

Einige der dargestellten Stellschrauben finden sich im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie schnell an diesen auch gedreht wird. 

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Welter ist Präsidentin des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn und Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insb. Management kleiner und mittlerer Unternehmen und Entrepreneurship, an der Universität Siegen. 

Hans-Jürgen Wolter ist Projektleiter im IfM Bonn. 


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