Gastbeitrag von Herbert Jakoby

Zu niedrige Investitionen machen den wirtschaftspolitischen Akteuren und Expertinnen in Deutschland schon seit längerem große Sorgen. Private und staatliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, in den Wohnungsbau, in Maschinen, Anlagen und IT-Ausrüstungen auf technologischem Spitzenniveau und in moderne Verkehrssysteme bilden den Kapitalstock eines Landes und bestimmen gemeinsam mit dem Faktor Arbeit dessen wirtschaftlichen Wohlstand. Um diesen Wohlstand für die Zukunft zu sichern und weiter auszubauen, müssen jetzt die notwendigen Investitionen getätigt werden. Dies gilt vor allem für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft, die nur mit einem deutlichen Anstieg der Investitionen gelingen kann.

Davon ist das einstige Kohle- und Energieland Nordrhein-Westfalen (NRW) in besonderem Maße betroffen, denn es muss zahlreiche fossile Kraftwerke ersetzen und seine bedeutende energieintensive Grundstoffindustrie umrüsten. Der Klimaschutz erfordert in NRW also eine besonders starke Steigerung der Investitionen. Die Ausgangsbedingungen sind dafür jedoch schwieriger als anderswo, denn NRW hat seine Investitionen in den vergangenen Jahren noch mehr vernachlässigt als andere Länder. Die Investitionsquote als Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt in NRW seit langem deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. NRW steht damit vor einer doppelten Herausforderung: Es muss erstens die ohnehin schon sehr niedrige Investitionsquote stark steigern, um seinen wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern, und es muss zweitens überproportional hohe Klimaschutzinvestitionen tätigen, um sich von der Abhängigkeit von fossilen Energien zu lösen.

Das Vorkommen von Stein- und Braunkohle hatte NRW zu einem Zentrum der fossilen Stromerzeugung gemacht. Wegen der hohen Kraftwerkskapazitäten und der Verfügbarkeit von Kokskohle war das Land bisher auch ein bevorzugter Standort für die Stahlerzeugung, die Chemische Industrie und andere energieintensive Wirtschaftszweige. Der zeitlich vorgezogene Ausstieg aus der Kohleverstromung verstärkt den Druck auf die Energiewirtschaft und die betroffenen Industrieunternehmen, schneller klimaneutrale Alternativen zu entwickeln. Hierzu sind erhebliche Investitionen notwendig, unter anderem für Windräder, Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen, die Wärmedämmung von Altbauten, den Ausbau der Bahninfrastruktur, Elektrofahrzeuge, Ladestationen, Stromverteilnetze, Wasserstofferzeugung und nicht zuletzt klimaneutrale Produktionsverfahren in den Grundstoffindustrien wie etwa Direktreduktionsanlagen zur Erzeugung von „grünem“ Stahl. Ein Teil davon ersetzt nur abgeschriebene Anlagen auf fossiler Energiebasis durch klimaneutrale Investitionen. Ein nicht geringer Teil kommt aber „on top“ hinzu, auch weil klimaneutrale Lösungen meistens teurer sind als die konventionellen Investitionen, die sie ersetzen.

Die Bruttoanlageinvestitionen als Summe aller Investitionen in Hoch- und Tiefbauten, Maschinen, Anlagen, IT-Ausrüstungen, Fahrzeuge sowie immaterielle Anlagen wie Software, Patente, Lizenzen und Urheberrechte (neue Anlagen) beliefen sich 2020 in NRW auf 121,4 Mrd. Euro, das ist ein Anteil von 17,2 % des BIP.1 In den übrigen westdeutschen Bundesländern lag die Investitionsquote im selben Jahr mit 24,2 % deutlich darüber. Bei einer gleich hohen Investitionsquote wie in den übrigen Westländern würden sich die Bruttoanlageinvestitionen in NRW auf 171,1 Mrd. Euro belaufen, das sind 49,5 Mrd. Euro mehr als tatsächlich aufgewendet wurden. Diese Differenz kann als strukturelle Investitionslücke NRWs verstanden werden, zu der die zusätzlich notwendigen Investitionen für den Klimaschutz hinzuaddiert werden müssen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft IW hat in einer Studie2 im Jahr 2022 einen jährlichen Investitionsbedarf in Höhe von ca. 50 Mrd. Euro für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft in NRW errechnet. Der größere Teil davon ist als Ersatzinvestitionen für abgeschriebene klimaschädliche Anlagen zu verstehen, es wird aber auch ein echter Mehrbedarf für den Klimaschutz von ca. 5 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Aufgrund der zwischenzeitlich beschlossenen beschleunigten klimaneutralen Transformation, insbesondere aufgrund der eingetretenen Rohstoffpreissteigerungen und des notwendigen Abbaus der Energieabhängigkeit von Russland, hat der Direktor des IW, Michael Hüther, die Schätzung des Gesamtbedarfs für klimaschutzbedingte Investitionen auf jährlich 65 bis 79 Mrd. Euro angehoben.3 Legt man den Mittelwert von 72 Mrd. Euro zugrunde, kommen also unter jetzigen Bedingungen noch einmal 22 Mrd. Euro hinzu.

Die vollständige Analyse finden Sie hier.

1 Die in diesem Beitrag verwendeten Investitionsdaten stammen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder. Statistische Ämter der Länder (2023): Bruttoanlageinvestitionen in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2020, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 1, Länderergebnisse Band 3 (Berechnungsstand: August 2022), Stuttgart 2023.

2 Demary, Markus/ Zdralek, Jonas (2022): Transformation in NRW: Wie kann die digitale und klimaneutrale Transformation der Unternehmen in NRW am besten finanziert werden? Gutachten im Auftrag des Bankenverbands Nordrhein-Westfalen e.V., Genossenschaftsverband – Verband der Regionen e.V., Ministerium für Wirtschaft, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, NRW.BANK, Rheinischer Sparkassen- und Giroverband, Sparkassenverband Westfalen-Lippe. Institut der deutschen Wirtschaft IW, Köln 2022. https://www.fin-connect-nrw.de/fileadmin/pdf/IW-Gutachten_2022-Transformationsfinanzierung-in-NRW.pdf

3 Hüther, Michael (2023): Transformationsland Nordrhein-Westfalen – Eine Standortbestimmung. Energiekrise, Rohstoffkrise, Inflation: Rettung durch Transformation? Vortrag auf dem Bankentag NRW am 28.03.2023 in Düsseldorf. https://www.fin-connect-nrw.de/fileadmin/documents/aktuelles/23-03-22-Bankentag-NRW.pdf


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