1. Hintergrund

Die Transformation der deutschen Wirtschaft ist eine große Herausforderung. Um die Digitalisierung und Klimaneutralität erfolgreich zu gestalten, braucht es allein in Nordrhein-Westfalen (NRW) jährliche Investitionen von rund 100 Milliarden Euro (vgl. Demary et. al., 2024). Neben den reinen Investitionen sind aber auch erhebliche Innovationen erforderlich, um die Transformation zu meistern. Nur mit Hilfe kluger Ideen und neuer Wege kann die Transformation ohne Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gelingen und das Potenzial der Digitalisierung ausgeschöpft werden. Herausforderungen resultieren daraus speziell für mittelständische Unternehmen, die im Gegensatz zu Großunternehmen in aller Regel über keine eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen. Für Deutschland insgesamt, aber für KMUs im Speziellen, sind Start-ups daher wichtig, um von Innovationen profitieren zu können. Schließlich bringen Start-ups neue Produkte, Prozesse und Geschäftsmodelle in den Markt und zeigen unter anderem neue Wege auf, um Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu erreichen.

Die Gründung und Skalierung innovativer Start-ups ist eine riskante Investition. Viele Gründer scheitern, und selbst nach erfolgreichen Pilotphasen enden viele Unternehmen in der Insolvenz. Auf der anderen Seite gibt es aber auch äußerst erfolgreiche Gründungen, die den Investoren phänomenal hohe Renditen ermöglichen. Für die Finanzierung braucht es entsprechend Investoren, die bereit sind, entsprechend hohe Risiken einzugehen. Allgemein gilt der Markt für Wagniskapital in Deutschland aber als unterentwickelt (vgl. Grimm et. al., 2024). 

In dem folgenden Beitrag wird anhand aktueller Marktdaten die Entwicklung des Wagniskapitalmarktes in Deutschland und im Speziellen in NRW aufgezeigt und eingeordnet. In einem weiteren Schritt wird dann der Frage nachgegangen, inwieweit Wagniskapital die Transformation unterstützen und wie NRW für Wagniskapital noch attraktiver werden kann. Dieser zweite Teil beruht auf einer Reihe von Expertengesprächen mit Wagniskapitalinvestoren. Der Beitrag endet mit einigen konkreten Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für NRW.

2. Der Wagniskapitalmarkt in Deutschland und NRW

Im Folgenden wird zunächst der Begriff des Wagniskapitals definiert und die Wagniskapitalgeber sowie die verschiedenen Investitionsphasen werden klassifiziert. Darauf folgt eine kurze Darstellung von Marktvolumina in Deutschland und NRW.

2.1 Was ist Wagniskapital?

Wagniskapital (auch bekannt als Risikokapital oder im Englischen Venture Capital) ist eine Form der Finanzierung, bei der Investoren Kapital in junge, oft innovative Unternehmen mit hohem Wachstumspotenzial einbringen. Diese Unternehmen haben in der Regel keinen Zugang zu klassischen Finanzierungsmitteln wie Bankkrediten, weil sie (noch) keine stabilen Umsätze oder Sicherheiten vorweisen können. Typische Merkmale von Wagniskapital sind die Folgenden:

  • Hohes Risiko, hohe Renditechance: Da viele Start-ups scheitern, ist das Verlustrisiko für Investoren hoch. Im Erfolgsfall kann der Gewinn jedoch enorm sein.
  • Beteiligung am Unternehmen: Wagniskapitalgeber investieren meist in Form von Eigenkapital und erhalten dafür Unternehmensanteile. Sie sind damit Miteigentümer.
  • Zeitlich begrenztes Engagement: Ziel ist es meist, das Unternehmen nach einigen Jahren mit Gewinn zu verkaufen (Exit), z. B. durch einen Börsengang oder Verkauf an ein anderes Unternehmen.
  • Zusätzliche Unterstützung: Neben Kapital bieten viele Wagniskapitalgeber auch Know-how, Netzwerke und strategische Beratung.

Wagniskapitalgeber sind keine homogene Gruppe, sondern es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Formen von Wagniskapitalgebern, die sich in Struktur, Zielsetzung und Investitionsvolumen unterscheiden. Hierzu gehören:

  • Business Angels sind vermögende Privatpersonen, die häufig in sehr frühen Unternehmensphasen investieren. Neben Kapital bieten sie Zugang zu Netzwerken und praktisches Erfahrungswissen. Ihr Engagement ist oft persönlicher und risikofreudiger als das institutioneller Investoren.
  • Corporate Venture Capital (CVC) bezeichnet Beteiligungen großer Unternehmen an Start-ups, meist mit strategischer Zielsetzung (z. B. Technologietransfer, Marktzugang). Neben Kapital können sie Zugang zu Produktionskapazitäten oder Vertriebskanälen bieten.
  • Venture-Capital-Fonds (VC-Fonds) sind institutionelle Investoren, die Kapital von Anlegern (z. B. Pensionskassen, Banken, Family Offices) bündeln und professionell verwalten. Sie investieren typischerweise in mehreren Finanzierungsrunden (Seed bis Series C, siehe unten) und bringen neben Kapital auch strategisches Know-how ein.

Diese Akteure ergänzen sich häufig entlang der Wachstumsphasen eines Unternehmens und prägen gemeinsam das Wagniskapital-Ökosystem. Schließlich erfolgen Wagniskapitalfinanzierungen typischerweise in mehreren, aufeinander aufbauenden Runden, die dem Entwicklungsstand des Start-ups angepasst sind:

  • Seed-Finanzierung: Frühphase zur Validierung der Geschäftsidee und Entwicklung eines Prototyps. Kapital kommt häufig von Business Angels, Acceleratoren oder Seed-Fonds. Ziel ist es, ein marktfähiges Produkt zu entwickeln und erste Nutzer oder Kunden zu gewinnen.
  • Series A: Finanzierung des Markteintritts und der Skalierung erster Geschäftsmodelle. Investoren sind meist institutionelle VC-Fonds. Im Fokus stehen die Marktentwicklung, der Aufbau des Teams und erste Umsätze. Die Bewertung steigt gegenüber der Seed-Runde deutlich.
  • Series B: Wachstumsausbau, Internationalisierung und Optimierung der Prozesse. Höhere Summen werden investiert, um Marktanteile auszubauen und Strukturen zu professionalisieren. Investoren achten verstärkt auf Kennzahlen und Skalierbarkeit.
  • Series C und folgende: Späte Wachstumsphasen zur Marktbeherrschung, Diversifikation oder Vorbereitung auf Exit (z. B. Börsengang oder Verkauf). Beteiligungen kommen oft von größeren VC-Fonds, Private-Equity-Gesellschaften oder strategischen Investoren.

Jede Runde ist mit einer Unternehmensbewertung, einer Verhandlung über Anteile und konkreten Wachstumszielen verbunden. Der Kapitalbedarf und die Anforderungen steigen dabei kontinuierlich.

Bedeutsam in dem Finanzökosystem für Wagniskapital sind auch Inkubatoren und Acceleratoren. Unter Aceleratoren werden Programme verstanden, die Start-ups über wenige Monate hinweg mit Startkapital, Mentoring, Infrastruktur und Kontakten unterstützen. Im Gegenzug erhalten sie meist kleinere Beteiligungen. Ziel ist die schnelle Entwicklung marktfähiger Produkte und Geschäftsmodelle. Inkubatoren dagegen gehen noch einen Schritt früher an: Sie helfen bei der Entwicklung und Umsetzung erster Geschäftsideen, oft mit intensiver Betreuung, Büros und Ressourcen. Häufig sind sie Teil größerer Unternehmen oder Hochschulen. In einigen Fällen arbeiten Acceleratoren und Inkubatoren direkt mit VC-Investoren zusammen, doch meistens steht nicht die Finanzierung im Vordergrund, sondern die Vermittlung von Know-How.

2.2 Verbreitung von Wagniskapital

Nach Daten der KfW (2025) wurden im Jahr 2024 Wagniskapitalinvestitionen von 7,4 Milliarden Euro getätigt. Dies entspricht einem Plus von 350 Millionen Euro gegenüber 2023, liegt aber noch deutlich unter dem bisherigen Höchststand von 18,9 Milliarden Euro im Jahr 2021. Mit einem Finanzierungsvolumen von 4,0 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2025 setzt sich aber der Aufwärtstrend fort. 

Insgesamt zählt die KfW für 2024 knapp 1.500 Transaktionen, die durchschnittliche Finanzierungshöhe beträgt 13 Millionen Euro – gerade bei vielen kleinen Finanzierungsrunden ist die Höhe aber nicht bekannt. Sehr große Deals sind insgesamt die Ausnahme, nur 17 Transaktionen übertrafen im Jahr 2024 ein Volumen von 100 Millionen Euro.

Auffällig ist, dass deutsche Wagniskapitalgeber nur 29 Prozent der Finanzierungen stellen. Ihr Anteil liegt damit ebenso hoch wie der der US-amerikanischen Wagniskapitalgeber. Frankreich und das Vereinigte Königreich vereinen weitere 13 Prozent der Finanzierungen auf sich. Typischerweise sind deutsche Investoren insbesondere bei den Seed und Series A Finanzierungen zu finden, ausländische Investoren dagegen eher bei den Scale-up Finanzierungen.

Die Größe des deutschen Wagniskapitalmarktes ist in etwa mit der des französischen Marktes vergleichbar. Der britische Wagniskapitalmarkt ist etwa doppelt so groß wie der deutsche Markt. Im Jahr 2024 erreichte der dortige Markt ein Finanzierungsvolumen von rund 16,7 Milliarden USD. Der US-amerikanische Wagniskapitalmarkt ist hingegen über 20-mal größer als der deutsche Markt. Bezogen auf das BIP beträgt die Größe des Marktes in Deutschland 0,18 Prozent, in Frankreich 0,25 Prozent, im Vereinigten Königreich 0,48 Prozent und in den USA 0,64 Prozent.

Wie sich der Wagniskapitalmarkt auf die Bundesländer verteilt, zeigt eine aktuelle Studie von EY (2025). Demnach wurden zwar 2024 mit Abstand die meisten Transaktionen in Berlin durchgeführt, bezüglich der Finanzierungssumme liegt Bayern jedoch knapp vor Berlin. Beide Standorte vereinen zusammen fast zwei Drittel des Wagniskapitalmarktes in Deutschland auf sich. In Abbildung 2 ist auch die Relation zum BIP des Bundeslandes angegeben, was die besondere Relevanz von Berlin widerspiegelt. NRW folgt auf dem dritten Platz mit knapp einer Milliarde Euro an Wagniskapitalinvestitionen, vor Baden-Württemberg und Hamburg. Gemessen am BIP liegt der Wert für NRW bei 0,11 Prozent und damit unter dem Durchschnitt für Deutschland insgesamt, Bayern erreicht einen Wert von 0,31 Prozent und Berlin 1,2 Prozent des BIP. 

Die Studie von EY bietet darüber hinaus einen genaueren Einblick in die Geschäftsfelder der finanzierten Start-ups. Das Themenfeld „Software & Analytics“ attrahierte mit etwa 2,2 Milliarden Euro die meisten Finanzierungsmittel, gefolgt vom Themenfeld Gesundheit mit knapp 900 Millionen Euro. Auf Energie und Climate-Tech, die den direktesten Bezug zum Thema Nachhaltigkeit haben, entfielen Finanzierungen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2024.

3. Wege zu mehr Wagniskapital

Die Daten aus Kapitel 2 verdeutlichen die Bedeutung des Wagniskapitalmarktes, sie zeigen aber auch, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern noch erhebliches Wachstumspotenzial hat. NRW hat einen signifikanten Anteil am Wagniskapitalmarkt, fällt aber im Vergleich mit Berlin und Bayern ab. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie relevant die Transformation für die Wagniskapitalgeber ist. Um diese und weitere Themen zu adressieren, wurden insgesamt sechs Expertengespräche mit Wagniskapitalgebern bzw. Acceleratoren geführt. Die Ergebnisse finden sich im Folgenden.

3.1 Interviewpartner

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die interviewten Experten. Die Gespräche fanden zwischen dem 11. Juni 2025 und dem 14. Juli 2025 statt. Alle Unternehmen haben ihren Sitz in NRW, der Fokus liegt aber meist bundesweit. Unter den Unternehmen finden sich mit BeyondBuild, Bitstone.Capital und xdeck. drei Wagniskapitalfonds, wobei xdeck. auch als Accelerator fungiert. Auch VENPACE ist ein Wagniskapitalfonds, der allerdings nur für eine sehr kleine Anzahl an Versicherungsunternehmen aktiv ist bzw. auch exklusiv für ein Versicherungsunternehmen investiert. Eine besondere Rolle unter den Gesprächspartnern nimmt die Gateway Factory ein. Die Gateway Factory gehört zu den zehn Start-up-Factories in Deutschland, die vor kurzem Bundes-Fördermittel für die Skalierung von Start-ups erhalten hat. Getragen wird die Gateway Factory von der RWTH Aachen, der Universität Köln und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie privaten Partnern. Ziel der Gateway Factory sowie weiterer Start-up-Factories ist es, Start-ups ein Wachstum zu einer signifikanten Marktgröße zu ermöglichen. Dabei investieren diese aber nicht selbst in die Start-Ups, sondern helfen den jungen Unternehmen vielmehr, sich so aufzustellen, dass sie VC-Fonds oder andere Wagniskapitalgeber für sich erschließen können. Schließlich steht AC+X Strategic Investments für einen Corporate VC, also einen Wagniskapitalgeber, der von einem Unternehmen gegründet wurde und im weiteren Sinne zum Erfolg des Unternehmens beitragen soll. Die Ergebnisse der Gespräche verliefen hinsichtlich zentraler Fragen und Einschätzungen sehr homogen, weshalb auf die Gewinnung zusätzlicher Gesprächspartner verzichtet wurde.

Tabelle 1: Übersicht über die Expertengespräche

Die Gespräche fanden zwischen dem 11. Juni 2025 und dem 14. Juli 2025 statt

NameUnternehmenEinordnung
Christine DamkeBeyondBuildVC-Fonds
Nico Schröder, Andreas Kruse und Philipp SeubertAC+X Strategic InvestmentsCorporate VC
Ingo KüpperVENPACEVC-Fonds / Corporate VC
Dr. Tim HiddemannGateway FactoryInkubator / Accelerator
Manfred HeidBitstone.CapitalVC-Fonds
Dr. Markus Gickxdeck.Accelerator / VC-Fonds

Quelle: eigene Zusammenstellung

3.2 Ergebnisse der Gespräche

Den Gesprächen lag ein einheitlicher Gesprächsleitfaden zugrunde, sie hatten aber individuelle Schwerpunkte. Wesentliche Inhalte waren die Bedeutung der Transformation für Wagniskapitalinvestoren, die Anforderungen an Start-ups, der Mangel an Scale-up-Finanzierungen sowie die Einordnung des Standortes NRW. Entlang des Gesprächsleitfadens folgt im Weiteren die Darstellung der Ergebnisse der Gespräche.

3.2.1 Ist die Investition in Transformation für Wagniskapitalinvestoren attraktiv?

Alle Gesprächspartner bestätigen, dass für die Transformation für Wagniskapitalgeber ein wichtiges Geschäftsfeld darstellt. Dies gilt sowohl für die Digitalisierung als auch die Nachhaltigkeit. Einige große VC-Fonds, wie etwa der World Fund mit einem Investitionsvolumen von 300 Millionen Euro (World Fund I) konzentrieren sich speziell auf das Thema ClimateTech. Betont wurde, dass Wagniskapitalgeber nicht in die Transformation eines einzelnen Unternehmens investieren, sondern immer nach skalierbaren Investitionen suchen. Konkret bedeutet dies, dass in Start-ups investiert wird, wenn sie Lösungen für die Transformation von Unternehmen entwickeln. Weiterhin wurde von allen Gesprächspartnern betont, dass sich Investitionen, wie in allen anderen Fällen auch, wirtschaftlich rechnen müssen. In einem Interview hieß es: „Investitionen in Transformation müssen so lohnend sein, dass sie auch einen Klimaleugner überzeugen“. Angesichts steigender Energiekosten und neuer Technologien ist dies vielfach auch der Fall. Transformation wird also nach wie vor als Business Case angesehen, auch wenn andere Themen, wie etwa KI oder Defense, derzeit mehr Aufmerksamkeit erhalten.   

Einige Gesprächsteilnehmer äußerten sich skeptisch mit Bezug auf Geschäftsideen, die stark auf spezifischen Regulierungen basieren. Insgesamt wird das Regulierungsumfeld, also zum Beispiel die Vorgaben hinsichtlich Berichtspflichten, als sehr volatil wahrgenommen. Bevorzugt werden daher Start-ups, deren Fokus zwar auf Transformation fußt, die jedoch nicht von spezifischen Regulierungsvorschriften abhängen.

3.2.2 Welche Kriterien müssen Start-ups erfüllen?

Auch in Bezug auf die Auswahl der Start-ups zeigten sich sehr übereinstimmende Einschätzungen. Generell folgen Investoren den so genannten 5Ts:

  • Team
  • Traktion
  • Technologie
  • Timing
  • Thesis

Unter Traktion wird verstanden, inwiefern das Produkt des Start-ups schon getestet bzw. von Kunden genutzt wird. Gerade bei Frühphasen-Investitionen gibt es natürlich noch keine Umsätze, aber es werden zumindest Pilot-Projekte und erste Kundenerfahrungen gewünscht. Technologie umfasst die Frage, inwieweit neue Ideen und fortgeschrittene Lösungen genutzt werden. Timing bedeutet, ob der Zeitpunkt für einen Markteintritt günstig ist, und Thesis umfasst die Frage, inwieweit das Produkt des Start-ups eine Relevanz hat. 

Das wichtigste Kriterium stellt aus Sicht der Experten das Team dar, da für den Unternehmenserfolg enorm wichtig ist, inwieweit das Gründerteam harmoniert und sich ergänzt. Neben den rein technischen oder ingenieurwissenschaftlichen Fähigkeiten ist es erforderlich, dass auch ein betriebswirtschaftlicher und vor allem vertrieblicher Blick eingenommen wird. Hier fehlt es bei vielen Start-ups. Die hohe Bedeutung des Teams fasst eine Aussage aus einem der Gespräche treffend zusammen: „Lieber investiere ich in ein überzeugendes Team mit einer durchschnittlichen Geschäftsidee als in ein durchschnittliches Team mit einem tollen Produkt“.

Der Fokus auf das Team hat dabei weitreichende Implikationen:

  • Erstens, Gründer brauchen sowohl technisches als auch betriebswirtschaftliches Know-how. Da viele Gründungen aus Hochschulen hervorgehen, ist Interdisziplinarität wichtig, aber eben auch herausfordernd. Vorteilhaft ist es daher, wenn schon die Hochschulen entsprechende Möglichkeiten für den Austausch eröffnen.
  • Zweitens, Netzwerke haben eine überragende Bedeutung. Die Investoren waren sich zwar einig hinsichtlich der Bedeutung der Teams, aber die Einschätzungen sind letztlich subjektiv. Alle Gesprächspartner und auch die Forschung bestätigen etwa, dass der gleiche universitäre Hintergrund die Wahrscheinlichkeit einer Investition in Gründer erhöht. Garfinkel et. al. (2021) zeigen für die USA, dass in einem Drittel der Fälle Investor und Gründer an der gleichen Universität waren. Die Wahrscheinlichkeit einer Investition ist um 10 Prozent höher, wenn Gründer und Investor an der gleichen Universität waren und die Finanzierung ist durchschnittlich 19 Prozent höher. Koenig (2022) bestätigt diese Ergebnisse für europäische VC-Märkte. Aktive Alumni-Netzwerke sind daher essenziell, um Gründungsfinanzierung zu erleichtern.
  • Drittens wurde in den Gesprächen herausgestellt, dass Empfehlungen ungemein wichtig für eine Finanzierung sind. Wird ein Start-up einem Wagniskapitalgeber von einer Person aus seinem Netzwerk empfohlen, hat dies einen großen Einfluss auf die Entscheidung für die Investition. 

Die Förderung von Vernetzung ist damit ein entscheidender Parameter für einen erfolgreichen Start-up-Standort. Gründer sollten daher unbedingt in ihre Netzwerke investieren. Vor diesem Hintergrund wurde auch in zwei Gesprächen die Bedeutung der Acceleratoren-Programme betont, denn neben dem fachlichen Input erhalten die Start-ups über die Teilnahme an den Programmen auch Zugang zu einem VC-Netzwerk.

3.2.3 Warum mangelt es an Scale-up-Investitionen?

Die Interviewpartner sind vor allem bei Seed- und Series A Investitionen aktiv, allerdings nicht bei Series B oder weitergehenden Finanzierungsrunden. Die Gateway Factory zielt darauf zwar ab, konnte bisher aber auch keine ganz großen Finanzierungsrunden begleiten. Auch die Zahlen der KfW zeigen, dass großvolumige Finanzierungsrunden eher selten sind, und wenn, dann von US-amerikanischen oder arabischen Investoren durchgeführt werden. Insgesamt teilten alle Gesprächspartner die Einschätzung, dass es für Frühphaseninvestitionen ein gut funktionierendes Finanzökosystem gibt, der Markt für größere Finanzierungen aber zu klein ist. Dies führt mitunter dazu, dass gerade sehr erfolgreiche deutsche Start-ups ins Ausland wechseln oder zumindest mit ausländischem Kapital wachsen, was von allen Gesprächspartnern als äußerst unbefriedigend wahrgenommen wird. Oder wie es ein Experte sinngemäß sagte: „Deutschland sät, und in den USA oder Katar erntet man“. 

Ursächlich für den kleinen Markt für großvolumige Finanzierungsrunden ist der Mangel an institutionellen Investoren, die in Wagniskapital investieren. Zwar sind auch in Deutschland Versicherungen oder Pensionsfonds im Wagniskapitalmarkt aktiv, doch aufgrund regulatorischer Anforderungen können sie nur sehr kleine Investitionen tätigen. In den USA ist die Altersvorsorge dagegen insgesamt in einem weit größeren Umfang kapitalmarktorientiert und chancenorientierter. Mit Abstrichen gilt dies auch für das Vereinigte Königreich. Zudem treten auch große Stiftungen, wie etwa von Universitäten, als Investoren im US-Markt in Erscheinung, was im deutschen Markt ebenfalls keine beträchtliche Relevanz hat.

Eine weitere Gruppe von Investoren für die Wachstumsphase sind extrem reiche Privatpersonen, die oft selbst erfolgreich gegründet haben. Elon Musk oder Peter Thiel sind für den US-Markt bekannte Investoren, die aufgrund eigener großer Vermögen hohe Summen in Scale-up-Finanzierungen anlegen können. Auch dieser Investorentyp ist in Deutschland kaum vorhanden. Zudem wurde von einigen Experten angemerkt, dass sehr wohlhabende Personen in Deutschland weniger risikobereit sind als in den USA. Zudem sind steuerlich andere Investitionen, speziell in Immobilien, attraktiver.

Nichtsdestotrotz erscheint die Gewinnung von privaten Finanziers für das Wachstum von Start-ups näherliegend als eine größere institutionelle Reform der Altersvorsorge. Die Brüder Samwer in Berlin sind außerdem ein Beispiel für sehr erfolgreiche Gründer, die zahlreiche Start-ups bis zum Exit entwickelt haben, in München ist Susanne Klatten zu nennen, die schon 2002 die Gründer-Initiative UnternehmerTUM mitinitiierte und mit großem Finanzkapital ausstattete. 

3.2.4 Wie ist NRW als Standort für Wagniskapitalinvestoren zu beurteilen?

Die Experten stimmen überein, dass NRW über eine außergewöhnlich hohe Zahl an großen und forschungsstarken Hochschulen verfügt. Positiv hervorgehoben wurde auch, dass sich eine zunehmende Zahl an Hochschulen im Bereich der Gründungen engagiert, auch wenn es hier noch Potenziale gibt. 

Unterschiedlich wurde die dezentrale Struktur NRWs beurteilt. Grundsätzlich gilt, dass aufgrund der notwendigen Netzwerke zentrale Standorte für die Entwicklung eines starken Wagniskapitalstandorts einfacher sind. Da persönliche Verbindungen eine zentrale Rolle spielen, ist eine Fokussierung auf einzelne Standorte naheliegend. Allerdings gaben einige der Gesprächspartner auch zu bedenken, dass die verschiedenen regionalen Zentren sehr leistungsfähig sein können, wenn sie unterschiedliche sektorale Schwerpunkte setzen, zum Beispiel auf die Themen Logistik, Insurtech oder FinTechs. Zudem wurde angemerkt, dass der Markt für Wagniskapitalfinanzierungen mittlerweile breit genug ist, um an einer Vielzahl von Standorten Frühphasen-Finanzierungen zu ermöglichen. Entscheidend ist aber eine überregionale Kooperation, um aussichtsreiche Start-ups in der Wachstumsphase zu unterstützen. Die beiden Start-up-Factories in NRW, in Köln und Essen, sollen genau dieser überregionalen Vernetzung dienen. 

Als Vorbild wurde von einigen Gesprächspartnern das UnternehmerTUM in München genannt. Das UnternehmerTUM ist ein gemeinnütziges Gründungszentrum, angesiedelt an der TU München, das eine Reihe von Inkubator- und Acceleratoren-Programme für Start-ups sowie Zugang zu teils eigenen VC-Fonds anbietet. Nach eigenen Angaben hat das UnternehmerTUM seit 2002 bereits mehr als 500 erfolgreiche Start-ups hervorgebracht. Die Gesprächspartner lobten am UnternehmerTUM insbesondere die erfolgreiche Verbindung von anwendungsorientierter Forschung, Finanzierung durch die Wirtschaft (Dax-Konzerne, Business Angels und VC-Fonds) sowie dem Engagement der Politik. Das UnternehmerTUM zeigt aber auch, dass es zur Entwicklung eines leistungsfähigen Gründungszentrums Zeit benötigt.

Große Potenziale werden in NRW vor allem im B2B-Markt gesehen. NRW verfügt über eine sehr große Anzahl von starken mittelständischen Unternehmen, die einen großen Markt für innovative Start-ups bieten. Nach einhelliger Meinung der Gesprächspartner sollte sich NRW daher vor allem hierauf konzentrieren.

3.2.5 Was kann NRW tun, um noch besser zu werden?

NRW ist in seiner Entwicklung zu einem leistungsfähigen Wagniskapitalstandort auf einem guten Weg. Die meisten Wagniskapitalgeber stimmten weiterhin überein, dass die NRW.BANK ein wichtiger Treiber des Gründungsgeschehens in NRW ist. Es wurde jedoch angemerkt, dass die Förderungen in NRW zu breit sind und mitunter jedes Start-up gefördert wird. „Es fehlt aber an einer wirksamen Elitenförderung“, merkte einer der Gesprächspartner an. In diesem Zusammenhang wurde auch vorgeschlagen, dass die NRW.BANK ihre Mittel nicht primär in der Gründungsförderung konzentriert – zumal es einen funktionierenden privaten Frühphasenfinanzierungsmarkt gibt – sondern sich vor allem auf die Ko-Finanzierung bei Scale-up-Finanzierungen fokussiert, da der private Markt aus den genannten Gründen zu klein ist.

Eine andere kritische Anmerkung bezog sich auf den Versuch, politisch gewollte Marktentwicklungen zu erzwingen. Besser wäre es, die Marktsignale aufzunehmen und Entwicklungen zu verstärken. Als Beispiel wurde etwa der Fokus auf Wasserstoff genannt. 

Schließlich wurde genannt, dass NRW durch gemeinsames Handeln vielmehr erreichen könnte. NRW verfügt nicht nur über sehr leistungsfähige Hochschulen, sondern auch über eine Reihe von DAX-Konzernen, hidden champions und zahlreiche extrem vermögende Haushalte. Wenn es der Politik besser gelingt, die Gruppen zusammenzuführen, könnte der Wagniskapitalstandort einen nächsten Schritt machen.  

4. Ausblick

Der Beitrag zeigt, dass Wagniskapital für die Transformation der Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen kann. Wagniskapitalgeber werden zwar nicht in die Transformation einzelner Unternehmen investieren, aber sie investieren in Unternehmen, die es KMUs einfacher und effizienter machen, die Transformation zum Erfolg zu führen. Transformation wird dabei von Wagniskapitalgebern als wichtiges und wirtschaftlich relevantes Geschäftsfeld gesehen, insofern unterstützen sie auch die These, dass Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit zusammengedacht werden müssen. 

Insgesamt verfügt NRW über ein funktionierendes Finanzökosystem für Wagniskapitalfinanzierungen insbesondere in der Frühphase von Start-ups finden sich ausreichende Möglichkeiten für Finanzierungen, auch vor dem Hintergrund von Förderungen. Dennoch zeigen die Expertengespräche, dass es noch erhebliche Potenziale für die Weiterentwicklung des Wagniskapitalstandorts NRW gibt. 

Für Hochschulen, aber auch für potenzielle Gründerinnen und Gründer, muss es vor allem um eine stärkere Vernetzung gehen. Interdisziplinarität ist ein wichtiges Merkmal erfolgreicher Start-ups und sollte von Hochschulen unterstützt werden sowie die anwendungsorientierte Forschung insgesamt. Darüber hinaus gilt es, die Potenziale von Alumni-Netzwerken besser zu nutzen. Schließlich zeigt die Forschung, wie wirkmächtig ein aktives Netzwerk für die Gewinnung von Wagniskapital sein kann.

Auch die Politik kann dazu beitragen, das Potenzial für Wagniskapital zu erhöhen. NRW verfügt über eine große Zahl von Großkonzernen, weltweit erfolgreiche hidden champions und extrem wohlhabende Einzelpersonen, die allesamt Potenziale für mehr Investitionen in den Standort NRW bieten. Diese Gruppen insbesondere in Scale-Up-Finanzierungen und die entsprechenden Finanzökosysteme einzubinden, sollte ein strategisches Ziel sein. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob der Fokus der NRW.BANK von einer Breitenförderung von Start-ups stärker auf die Ergänzung von Scale-up-Finanzierungen gerichtet werden sollte, da dieser Teil des Marktes noch unterentwickelt ist. 

Fin.Connect.NRW wird seinen Teil dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für die Finanzierung der Transformation weiter zu verbessern und Realwirtschaft und Finanzwirtschaft besser zu vernetzen.


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