Was ist die EU-Kapitalmarktunion?

Mit der Kapitalmarktunion (auf Englisch: Capital Markets Union, kurz CMU) ist die Integration und Vertiefung der nationalen Kapitalmärkte innerhalb der Europäischen Union (EU) gemeint. Dabei ist diese nicht genau definiert, vielmehr geht um einen Integrationsprozess und die Frage, in welcher Form und Geschwindigkeit dieser vorangetrieben werden soll und kann. Die Debatte enthält hierbei ein breites Spektrum – zwischen weiterhin national relativ eigenständigen Kapitalmärkten und einem vollständig integrierten EU-Kapitalmarkt ohne Barrieren oder regulatorische Unterschiede. Wesentliche Eckpunkte der Integration beinhalten die Harmonisierung nationaler Vorschriften, den Abbau von Hindernissen für Investoren und die Zentralisierung der Kapitalmarktaufsicht, wobei einige wesentliche Integrationsschritte bereits umgesetzt wurden.

Derzeit sind die Kapitalmärkte in den EU-Mitgliedstaaten stark fragmentiert – das heißt national ausgerichtet und reguliert – und weniger entwickelt als zum Beispiel in den USA. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Aktienmärkte: Obwohl die EU 17,5 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) erwirtschaftet, beträgt ihr Anteil an den globalen Aktienmärkten lediglich 11,4 %. Trotz einer ähnlichen Anzahl börsennotierter Unternehmen ist der US-amerikanische Kapitalmarkt rund viermal so groß wie der europäische.

Die Kapitalfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes und in Art. 63 AEUV verankert. Zwar definiert dieser Artikel den Begriff Kapitalflüsse nicht ausdrücklich, doch umfasst er laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unter anderem grenzüberschreitende Wertpapierinvestitionen (etwa in Aktien, Anleihen oder Fonds), ausländische Direktinvestitionen, Immobilienerwerb sowie Kredite. In der politischen Debatte bezieht sich der Begriff meist auf europäische Investitionen in Wertpapiere.

Die Kapitalmarktunion ergänzt die Europäische Bankenunion, die – trotz verbleibender Lücken – bereits weiter vorangeschritten ist und ebenfalls infolge der Eurokrise ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam gelten Kapitalmarkt- und Bankenunion als zentrale Bausteine für die Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Die Kapitalmarktunion verfolgt dabei eine Vielzahl strategischer Ziele. Derzeit rückt insbesondere die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit durch vermehrte (Risikokapital-)Investitionen in den Fokus – befördert durch den Letta-Report und den Draghi-Report. Abbildung 1 ordnet ein, wo die Kapitalmarktunion im Gefüge der EU-Wirtschaftspolitik und -Institutionen einzuordnen ist. 

Mit der Kapitalmarktunion sind stets zwei zentrale Entwicklungen verbunden: die Vertiefung der Kapitalmärkte und deren Integration innerhalb der EU. Während die Vertiefung vor allem darauf abzielt, die kapitalmarktbasierten Finanzierungen in der EU – etwa gemessen am BIP oder im Verhältnis zur Bankenfinanzierung – auszuweiten, soll die Integration sicherstellen, dass ein größerer Teil dieser Finanzierungen grenzüberschreitend erfolgt. Erst das Zusammenspiel beider Prozesse stiftet echten europäischen Mehrwert.

Ökonomen der Europäischen Zentralbank (EZB) verknüpfen mit der Kapitalmarktunion dabei die folgenden Zielsetzungen:

  • Stärkung von Investitionen durch private und institutionelle Anleger, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der EU zu fördern,
  • Finanzierung der Investitionen für die Twin Transformation (grün und digital),
  • Ausbau und höhere Renditen der privaten Altersvorsorge,
  • Förderung privater Risikoteilung innerhalb der EU,
  • Mehr wirtschaftliche Konvergenz und Inklusion zwischen den Mitgliedstaaten.

Im Folgenden werden die ersten beiden Ziele, die eng miteinander verknüpft sind, betrachtet. Die politischen Maßnahmen zur Umsetzung der Kapitalmarktunion – wie sie etwa im Aktionsplan „Capital Markets Union 2020“ der Europäischen Kommission formuliert sind – sind vielfältig, konzentrieren sich jedoch zurzeit vor allem auf die Belebung des europäischen Verbriefungsmarktes, eine stärkere Beteiligung von Privatanlegern und die Zentralisierung der Finanzmarktaufsicht bei der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur werden jedoch weitere Voraussetzungen für eine nachhaltige und stabile Kapitalmarktintegration betont. Dazu zählen insbesondere die Schaffung eines gesamteuropäischen „safe asset“ (als Alternative zu deutschen Staatsanleihen, die momentan häufig als sichere Vermögenswerte genutzt werden), ein einheitlich umgesetztes Regelwerk für alle Finanzunternehmen sowie die Harmonisierung nationaler Insolvenz- und Steuervorschriften auf den Kapitalmärkten. Erst wenn diese strukturellen Voraussetzungen erfüllt seien, könne ein EU-Kapitalbinnenmarkt entstehen, der grenzüberschreitend ohne rechtliche und finanzielle Barrieren funktioniere.

Wie kann die Kapitalmarktunion zur Transformationsfinanzierung beitragen? 

Viele europäische Ökonomen erhoffen sich, dass die Kapitalmarktunion zur Transformationsfinanzierung sowohl indirekt über die generelle Steigerung des Investitionsniveaus als auch direkt über gezieltere Investitionen in Start-ups und die Verbreitung grüner Finanzprodukte beiträgt. Für Nordrhein-Westfalen wäre aufgrund des hohen Investitionsbedarfs in den industriellen Umbau und der engen wirtschaftlichen Verflechtung mit den Nachbarstaaten eine tiefere europäische Integration besonders chancenreich – sowohl zur Mobilisierung privaten Kapitals als auch zur Stärkung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit.

Erhöhung des EU-Investitionsniveaus

Auch wenn die genauen Schätzungen variieren, ist eines unbestritten: Der Aufbau einer klimaneutralen europäischen Wirtschaft erfordert gewaltige Investitionen. So geht etwa die Europäische Kommission von einem jährlichen Investitionsbedarf von 1.241 Mrd. Euro zur Erreichung der Klimaziele bis 2030 aus – davon 477 Mrd. Euro pro Jahr zusätzlich zum aktuellen Investitionsniveau. Der Draghi-Bericht berücksichtigt neben dem Klimaschutz auch andere strategische Ziele wie Digitalisierung, Verteidigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit und veranschlagt einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 750 bis 800 Milliarden Euro pro Jahr, etwa 4,5 % des EU-BIP.

Zwar spielen öffentliche Investitionen – insbesondere als Impulsgeber – eine zentrale Rolle, doch wird erwartet, dass rund 80 % der notwendigen Mittel aus dem Privatsektor kommen müssen. So deckt zum Beispiel die EU-Aufbau- und Resilienzfazilität, das Herzstück des Corona-Wiederaufbauprogramms, mit ihren insgesamt 660 Mrd. Euro für Klimaschutz nur etwa 15-20 % des Investitionsbedarfs bis 2030. Als zentrales Hindernis für Privatinvestitionen wird dabei die Fragmentierung der EU-Kapitalmärkte angesehen: Unterschiedliche nationale Regeln, kleinere Marktvolumina und höhere Transaktionskosten hemmen grenzüberschreitende Investitionen. In der Folge bleibt die Finanzierung europäischer Unternehmen stark bankenbasiert, während private Anleger Kapital oft nicht effizient – oder gar nicht – investieren. Dies hat im Wesentlichen die folgenden Ursachen: 

(1) Bankenorientiertes Finanzsystem: Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass Europa ein stark bankenbasiertes Finanzsystem aufweist. Unternehmen und Haushalte finanzieren sich in der EU zu einem großen Teil über Bankkredite: So halten Banken in der Europäischen Union rund 90 % aller privaten Schulden und 70 % der Unternehmensschulden. In den USA sind es dagegen nur 40 % bzw. 20 %. Diese Abhängigkeit birgt strukturelle Nachteile: Banken vergeben im Vergleich zu Kapitalmarktakteuren mit ihrem Gesamtkapital weniger Finanzmittel, investieren häufig risikoaverser und oftmals weniger effizient (mehr dazu im Abschnitt zu Venture Capital). Zudem unterliegen Banken in der EU infolge der Finanz- und Eurokrise strengen Eigenkapital- und Aufsichtsregelungen, wodurch ihr Handlungsspielraum begrenzt ist. Dies führt unter anderem dazu, dass überproportional viel Kapital in den Immobiliensektor fließt. Eine vertiefte Analyse, ob das begrenzte Eigenkapital der Banken einen Engpass für die Transformationsfinanzierung darstellt, bietet unser Beitrag Fin.Connect.Kompakt Nr. 2.

(2) Niedriges Niveau privater Investitionen: Obwohl die Haushalte in der EU eine der höchsten Sparquoten weltweit haben, wird ein großer Teil dieses Vermögens kaum genutzt: Die Mittel verbleiben überwiegend in bar, auf Bankeinlagen, in Sparbüchern, Lebensversicherungen oder Staatsanleihen– Anlageformen, die meist niedrige oder gar keine Renditen erzielen und kaum zur Finanzierung grüner Innovationen beitragen (siehe auch oben sowie den folgenden Abschnitt). Dabei könnten private Mittel, die stärker für kapitalmarktbasierte und nachhaltige Investitionen genutzt werden, einen bedeutsamen Hebel für die Transformationsfinanzierung darstellen: Im Jahr 2023 besaßen europäische Haushalte rund 34,5 Bio. Euro an Finanzvermögen, davon allerdings ein Drittel als Bargeld oder Bankeinlagen – also Vermögen, das keine Rendite abwirft. Gleichzeitig lagen die jährlichen Ersparnisse in der EU bei etwa 1,4 Bio. Euro und übertrafen damit deutlich jene US-amerikanischer Haushalte mit 840 Mrd. Euro.

Trotz des großen Sparvolumens wird die effiziente Nutzung von Privatinvestitionen in der EU weiterhin durch strukturelle Hürden eingeschränkt. Beispielsweise gehen die kleinen und fragmentierten Kapitalmärkte mit höheren Kosten und einem ausgeprägten „Home Bias“ – also der Bevorzugung inländischer Aktien etc. – einher. Auch die grundsätzliche Risikoscheu vieler Privatanleger erschwert es, Kapital in wachstumsstärkere, aber volatilere Anlagen zu lenken. 

Besonders deutlich wird dies auf den europäischen Risikokapitalmärkten, die für die Finanzierung von Start-ups und Zukunftstechnologien entscheidend sind: Während die jährlichen Fondskosten für Wagniskapital in den USA bei nur etwa 0,4 % liegen, betragen sie in der EU durchschnittlich 1,4 %. Hinzu kommt, dass Privatinvestoren in Europa rund 40 % höhere Gebühren zahlen als institutionelle Anleger. Im Gegensatz zu den USA fehlt es in der EU bislang an einem starken Wettbewerbsdruck, um diese Kosten zu senken und Privatanleger gezielt für Beteiligungen am Risikokapitalmarkt zu gewinnen. 

Eine Harmonisierung der Regulierungen sowie die Übernahme europäischer Best-Practice-Beispiele könnten sowohl direkt als auch indirekt – etwa über institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Banken und Versicherungen – die Attraktivität der Kapitalmärkte für Privatanleger deutlich steigern. Zurzeit erschweren bestehende Dissonanzen im Steuerrecht (z. B. Kapitalertragssteuer, Haltedauervorschriften), bei der Förderung der Altersvorsorge, in der Gestaltung von Finanzproduktinformationen und Gebührenstrukturen, bei der Übertragbarkeit von Wertpapieren sowie im Unternehmensrecht (etwa im Insolvenz- oder Dividendenrecht) den grenzüberschreitenden Zugang. Diese Regulierungsunterschiede sind für Privatpersonen häufig zu komplex und verursachen für institutionelle Intermediäre zusätzliche Kosten. Letztere führen entweder zu höheren Produktpreisen oder zu einer stärkeren Fokussierung auf nationale, risikoarme – jedoch meist renditeschwache – Finanzprodukte.

Dabei ist festzuhalten, dass nicht alle privaten Ersparnisse künftig in Risikokapital investiert werden sollen oder müssen. Ebenso ist klar, dass einheitliche Standards und mehr Wettbewerb auf den europäischen Kapitalmärkten allein nicht ausreichen werden, um die bestehende private Investitionslücke vollständig zu schließen. Neben den erhöhten Kosten und regulatorischen Hemmnissen spielen auch kulturelle Faktoren – wie eine ausgeprägte Risikoscheu, das Vertrauen in die vermeintliche Sicherheit nationaler Aktien sowie eine unzureichende finanzielle Bildung – eine entscheidende Rolle. Dennoch spricht vieles dafür, dass sich das Investitionsverhalten mittelfristig verändern muss: Angesichts der alternden Bevölkerung und der zunehmenden Belastung der staatlichen Rentensysteme ist von einer steigenden Bedeutung privater Kapitalanlagen auszugehen.

Förderung von KMU und Start-ups

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Start-ups spielen eine zentrale Rolle für die grüne Transformation der Wirtschaft. Sie bringen nicht nur neue nachhaltige Technologien auf den Markt, sondern sind auch oft schneller in der Anwendung und Skalierung innovativer Lösungen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) könnten Technologien, die sich derzeit noch in der Entwicklung befinden, rund 35 % der notwendigen Treibhausgasreduktionen im Energiesektor ausmachen. Gerade grüne Start-ups arbeiten häufig eng mit regionalen Industrien – etwa in Deutschland mit Automobilherstellern – zusammen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung der lokalen Wertschöpfungsketten.

Start-ups und junge KMU sind jedoch in besonderem Maße auf kapitalmarktbasierte Finanzierung, insbesondere Wagniskapital (Venture Capital, VC), angewiesen. Venture Capital wird in der Regel auf dem privaten Kapitalmarkt zur Verfügung gestellt, anders als zum Beispiel Aktien und Anleihen, die auf öffentlichen Kapitalmärkten – der Börse – gehandelt werden. Somit sind zum Beispiel auch VC-Fonds von der Kapitalmarktunion umfasst, da sie bisher in den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlichen Standards unterliegen. 

Da Start-ups meist über keine klassischen Kreditsicherheiten verfügen – wenn dann nur über immaterielle Vermögenswerte wie Patente oder innovative Geschäftsmodelle – und in der Anfangsphase häufig unprofitabel sind, erhalten sie kaum Zugang zu Bankkrediten. Ihr erhöhtes Ausfallrisiko steht im Widerspruch zu den strengen Risikomodellen und regulatorischen Vorgaben im Bankensektor. Gerade nachhaltige Technologien sind oft mit hohen technologischen Risiken, unsicheren Marktchancen sowie regulatorischer Unsicherheit verbunden.

Weil wie beschrieben weder Banken noch private Investoren in der EU ausreichend Finanzmittel bereitstellen, vor allem für spätere Finanzierungsrunden (der Scale-up-Gap), sind europäische Start-ups häufig auf US-amerikanische Wagniskapitalgeber angewiesen oder verlagern ihren Sitz gleich ganz in die USA. Eigenkapitalförderungen von den Förderbanken wie der NRW.BANK oder KfW leisten hier zwar Abhilfe, konnten jedoch im Jahr 2023 auch nicht verhindern, dass zwei Drittel der Börsengänge von Start-ups, die ursprünglich mit europäischem VC finanziert wurden, außerhalb der EU stattfanden. 

Zwar stammt das Startkapital in frühen Finanzierungsrunden zunehmend aus europäischen Quellen, es bleibt jedoch häufig auf das Herkunftsland des Start-ups beschränkt. Besonders in süd- und osteuropäischen Mitgliedstaaten mit schwach entwickelten VC-Märkten fehlt es an ausreichendem Zugang zu Finanzierungen. Aber auch Deutschland lag 2023 mit seinem Wagniskapitalvolumen im Verhältnis zum BIP unter dem EU-Durchschnitt. Das insgesamt geringeMarktvolumen für Venture Capital – rund 0,1 % des BIP in der EU gegenüber etwa 1 % in den USA – schwächt die grüne Wettbewerbsfähigkeit Europas, macht europäische Start-ups abhängig vom aktuell besonders volatilen US-Kapitalmarkt und verlangsamt die Nutzung innovativer Technologien im europäischen Binnenmarkt. 

Es wird erwartet, dass durch die Kapitalmarktunion mehr Mittel für Wagniskapital bereitgestellt und effizienter im europäischen Wirtschaftsraum verteilt werden können. Die vertiefte Integration soll dazu beitragen, Risiken besser zu streuen und die Professionalisierung der europäischen VC-Geber voranzutreiben. Auch große institutionelle Anleger wie die Pensionsfonds aus den Niederlanden oder Skandinavien könnten bei einheitlicheren Kapitalmarktregelungen künftig stärker in europäische VC-Fonds investieren – ähnlich wie es ihre US-amerikanischen Gegenstücke bereits tun. Andernfalls, so warnte der frühere französische Finanzminister Bruno Le Maire, droht weiterhin, „dass unsere Start-ups in Berlin geboren, in Paris aufwachsen – und in Washington, New York oder San Francisco groß werden.“

Verbreitung grüner Finanzprodukte und Standards

Zuletzt soll die Kapitalmarktunion die Rolle der EU als globaler Hub für nachhaltige Finanzierungen stärken und den grenzüberschreitenden Handel mit nachhaltigkeitsbezogenen Finanzinstrumenten vorantreiben. Mit der EU-Taxonomie, der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verfügt die EU bereits über eine umfassende Regulierung, um die Nachhaltigkeit von Investitionen zu klassifizieren und finanzmarktrelevante ESG-Daten zu erfassen. Mehr Informationen finden sich hierzu in unseren Beiträgen zur EU-Taxonomie, SFRD und CSRD.

Damit ist die EU im Bereich Sustainable Finance bereits deutlich besser aufgestellt als in anderen Kapitalmarktsegmenten. Dies zeigt sich etwa an der hohen Emission grüner Anleihenund der Bedeutung des Euros als weltweit führender Währung für grüne Finanzprodukte. Laut dem luxemburgischen Fondsverband ALFI entfielen Ende 2023          85 % des globalen Nettovermögens nachhaltiger Fonds auf die EU sowie weitere europäische Staaten. Und auch bei der Harmonisierung von Standards für nachhaltige Finanzprodukte geht die EU mit Projekten wie dem European Green Bond Standard oder den Vorgaben der ESMAzur ESG-Kennzeichnung von Fonds voran.

Trotz des Wachstums grüner Kapitalmärkte besteht nach wie vor der Home Bias, und regulatorische Unsicherheiten erschweren die Integration dieser. Zudem wird für die grüne Transformation voraussichtlich eine breite Diversifizierung der eingesetzten Finanzinstrumente erforderlich sein.

Viele dieser Finanzprodukte – wie Green und ESG-linked Schuldscheine – sind jedoch bisher oft länderspezifische Eigenheiten oder, wie im Fall grüner Verbriefungen, in der EU noch kaum bis gar nicht verbreitet. Insbesondere letzteren wird eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer grünen Kapitalmarkt- und Bankenunion zugeschrieben. Der grenzüberschreitende Handel mit verbrieften (Bank-)Krediten könnte dabei helfen, Ausfallrisiken zu streuen und die Kreditkapazitäten für grüne Projekte zu erhöhen. Kleinere Finanzierungsprojekte von KMU könnten gebündelt werden, um ein „kapitalmarktfähiges“ Volumen zu erreichen. Für dieses Vorhaben ist jedoch ein effektiver europäischer Rechtsrahmen erforderlich, um die finanziellen Ungleichgewichte und Intransparenz zu verhindern, die zur globalen Finanzkrise beigetragen haben.

Welche Herausforderungen bestehen noch? 

Auch wenn im politischen Diskurs der EU ein vermeintlicher Konsens über die Notwendigkeit einer vertieften Kapitalmarktintegration besteht, gibt es weiterhin erhebliche Hürden für deren zeitnahe Umsetzung und ihren Beitrag zur Transformationsfinanzierung.

(1) Politische Umsetzung: In den vergangenen Jahren war vor allem ein inkrementeller Fortschritt auf dem Weg zur Kapitalmarktunion zu beobachten. Insbesondere die Harmonisierung des Insolvenz- und Steuerrechts – zwei Bereiche, die weiterhin in der nationalen Zuständigkeit liegen – sind bislang nicht abschließend geklärt. Zudem herrscht in einigen Mitgliedstaaten mit starken Finanzsektoren, wie Luxemburg oder Irland, Misstrauen gegenüber einer stärkeren Zentralisierung der Marktaufsicht durch die ESMA. Hinzu kommen praktische Herausforderungen, etwa die unzureichende personelle und finanzielle Ausstattung der ESMA, um zusätzliche Aufgaben effektiv übernehmen zu können.

(2) Steuerung der Investitionen: Kritiker der grünen Kapitalmarktunion weisen darauf hin, dass eine pauschale Ausweitung der Kapitalmarktfinanzierung und damit verbundene sinkende Kapitalkosten grundsätzlich allen Unternehmen und Branchen zugutekämen – unabhängig von deren Emissionsprofil. Um zu verhindern, dass dadurch auch klimaschädliche Geschäftsmodelle gefördert werden, müsse die Kapitalmarktunion eng mit weiteren klimapolitischen Maßnahmen verzahnt werden. Dazu zählen unter anderem die Nachhaltigkeitsberichterstattung, eine ambitionierte grüne Industriepolitik sowie ein wirksamer Emissionshandel. Nur so könne sichergestellt werden, dass die zusätzlich mobilisierten Finanzmittel gezielt in die grüne Transformation fließen – etwa in nachhaltige Start-ups oder grüne Finanzprodukte – und die erwarteten positiven Effekte nicht konterkariert werden. Zudem besteht das Risiko, dass die Kapitalmarktunion als Ersatz für andere investitionsfördernde Maßnahmen missverstanden wird – wodurch dringend notwendige Initiativen zur Steigerung des gesamtwirtschaftlichen Investitionsniveaus ausbleiben könnten.

Wichtig ist schlussendlich, bankbasierte und kapitalmarktbasierte Finanzierung nicht als Gegensätze zu verstehen. Beide Ansätze haben jeweils eigene Vor- und Nachteile und eröffnen unterschiedlichen Unternehmenskategorien – darunter auch solchen mit nachhaltigem Fokus – den Zugang zu Finanzierung. Bei der Umsetzung der Kapitalmarktunion sollte daher besonders darauf geachtet werden, dass mittelbare Auswirkungen auf nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen begrenzt bleiben und, dass Synergiepotenziale beider Ansätze – etwa durch Verbriefungen – nicht zu zusätzlichen Belastungen für KMU führen.


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